Autorenporträt zu Franziska von Reitzenstein

Beschreibung

Franziska Freifrau von Reitzenstein alias Franz von Nemmersdorf wird als Tochter des Augsburger Oberappellationsgerichtsrates von Nyß geboren. Nach einer sorgfältigen Erziehung und Studien, vor allem in Geschichte, Philosophie und Anthropologie, ist sie ab 1849 mit dem kgl.-bayerischen Rittmeister Freiherr von Reitzenstein verheiratet, der bereits kurze Zeit darauf stirbt. Franziska (Fanny) reist als junge Witwe nach Italien, besucht Rom und Venedig. Durch den Jungdeutschen und bekannten Vertreter des Frührealismus Karl Gutzkow (Roman Wally, die Zweiflerin, 1835) in die Literatur eingeführt, erscheinen von ihr bald eigene Werke, zunächst in dessen Wochenzeitschrift Unterhaltungen am häuslichen Herd.

Ihr erster Roman Unter den Ruinen. Ein Roman aus Roms Gegenwart (4 Teile, 1861) schildert römische Zustände der neuesten Zeit im Rahmen eines Erbschaftsprozesses, wobei gesellschaftliche, kirchliche und politische Kontexte nicht ausgespart werden. Ähnlich wie Gutzkows zweiter Großroman Der Zauberer von Rom (1858-61) ist Unter den Ruinen reich an philosophischen Räsonnements und Reflexionen, wobei es ein anschauliches Bild von Roms tiefer Korruption widerspiegelt.

Nach Reitzensteins zweitem Roman Moderne Gesellschaft und Erzählung La Stella (beide 1863) erscheint mit dem zweibändigen Werk Doge und Papst (1865) ein historischer Roman aus dem 17. Jahrhundert. Ein zeitgenössischer Kritiker kommt zu dem Urteil: „Franz von Nemmersdorf schenkt uns ein farbenreiches Bild, wirkliche Geschichte, er hat gehalten, was er treffend in der Vorrede verspricht: ‚Wenn der Roman der Gegenwart nur ein Bild der Wirren und Kämpfe, der Sitten und Strebungen unserer Tage vorführen soll, so gilt dieses in demselben Maße von dem Zeitbild der Vergangenheit. Ohne innere Wahrheit ist er werthlos. Der historische Roman soll wieder zu frischem Leben erwecken, was die Geschichte mumienhaft bewahrt.‘“ (Zwei neue Romane. In: Deutsches Museum 15 [1865], S. 660-662) Der Inhalt des Romans ist kurz zusammengefasst: Die römische Partei in Venedig, die Papalisten, treibt den Rat der Zehn zum Justizmord an den adligen Diplomaten und Papstgegner Antonio Foscarini (1570-1622), dessen posthume Revidierung des Todesurteils als Ausdruck des Gerechtigkeitssieges über die Staatsräson in die venezianischen Geschichtsbücher eingegangen ist.

Auf ähnlichem Gebiet bewegen sich Fanny von Reitzensteins weitere Werke, so die Novelle Gozzi's Rache (1865 im Abendblatt der Bayerischen Zeitung), Allein in der Welt (1868), Späte Sühne (in Julius Grosses und Franz Grandauers Revue Propyläen, 1869), dann der dreibändige Roman Unter den Waffen (1869).

Im Rahmen der zeitgenössischen Emanzipationsdebatte greift die Autorin auch die Geschlechts- und Frauenfrage auf: Ein dämonisches Weib, Die Verworfene und Reine (beide 1873), Ein Gentleman (1874), die Novelle Die Masken des Glückes (1875) sowie der abermals in Venedig spielende Roman Ein Ehestandsdrama (1876). Ihre theoretische Schrift Der Kampf der Geschlechter. Eine Studie aus dem Leben und für das Leben (1891) ist schließlich dem italienischen Arzt, Bewusstseinsforscher und Pionier der Sexualwissenschaft Paolo Mantegazza (1831-1910) gewidmet.

Daneben sind noch die in aristokratischen Kreisen sich bewegende, stellenweise sarkastische Schilderung Das Rätsel des Lebens (1894) sowie die „Studie aus dem Leben“ Aus gärender Zeit (1895) zu erwähnen. Außerdem schreibt Reitzenstein für mehrere Zeitschriften und Journale, darunter die in Augsburg erscheinende Allgemeine Zeitung, die Münchener Zeitung nebst zugehörigen Unterhaltungsblatt (1859/60), aber auch für Ernst Keils Die Gartenlaube und diverse Wiener Tagesblätter.

Der Münchner Kunst- und Literaturhistoriker Hyazinth Holland charakterisiert Fanny von Reitzensteins sprachlichen wie persönlichen Erscheinungsstil wie folgt:

Zuweilen schaute der Blaustrumpf [die Emanze] stark hervor; auch liebte sie in einem polyglotten Salonidiom zu schwelgen, im Nachklang der vormärzlichen hocharistokratischen Gepflogenheit: ein Mischmasch von Fremdwörtern und Citaten aus allen möglichen todten und lebenden Sprachen. / In der Jugend eine vielgepriesene Schönheit, später eine imposante Erscheinung, endlich aber nur noch eine Ruine aus längst vergangenen Tagen, wenn man sie in den Straßen Münchens oder in der kgl. Hof- und Staatsbibliothek sah mit dem archaistischen Lächeln auf dem Gesicht und in ihrer recht phantasievollen Garderobe. Ihr schriftstellerisches Pseudonym entstammte dem willkürlichen Griff in ein topographisch-statistisches Lexikon.

Zusammen mit ihren Katzen lebt die „Katzenbaronin“ ab 1882 in einem schönen Haus in München, das sie aufgrund eines Wiener Loskaufs erworben hat. Ihr Grab befindet sich auf dem Alten Südlichen Friedhof und hat ein imposantes Denkmal, eine in Marmor gemeißelte Urnenträgerin nach einem Entwurf von >> .

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