Gruithuisen, Franz (Artikel aus Neue Deutsche Biographie)

Beschreibung

Aus wenig bemitteltem Elternhaus, kam Gruithuisen nach nicht ausreichender Grundausbildung auf eine Chirurgenschule und wurde 1788 Lazarettgehilfe in der österreichischen Armee im Türkenkrieg. Nach des Vaters Tode tat er Hofdienst bei Kurfürst Karl Theodor von Bayern, vermochte mit des Hofes Unterstützung in Landshut Naturwissenschaften und Medizin zu studieren (Promotion 1808) und wurde Lehrer an der Schule für Landärzte in München, wo er Physik, Chemie, Zoonomie, Anthropologie und Geschichte der Medizin unterrichtete. Berufungen nach Breslau und Freiburg/Br. lehnte er ab. 1826 wurde er außerordentlicher, 1830 ordentlicher Professor für Astronomie in München. Gruithuisens Werke der früheren Jahre sind vielseitig, eindeutig unterweisend. Die dem Chirurgen Alois Winter gewidmete „Organozoonomie“ (1811) entwickelt die Lehre von der Entzündung im genetischen Sinne als fruchtbaren Rückschritt in das Stadium der Polyposen; diese Tieferstellung bedeutet zugleich einen Steigerungsprozeß einer niedrigen Tierorganisation. – Die Anthropologie im Sinne der Grundlagenforschung ist eine Erörterung der Elementarformen der wirkenden physischen Kräfte und Mächte der Dinge samt ihren in Raum und Zeit ausgelegten Körperformen. Heilung ist Steigerung des infusorischen Lebens zu höherem Tierleben. Der Metamorphosebegriff dient der Vorstellung von der Umwandlung der Blutkörperchen vermittels Eitersekretion oder durch unmittelbare polypöse Membranbildung. Gruithuisen fand so 1812 die klare Unterscheidung der Formelemente des Blutes nach Erforschung der Lymphe durch W. Harson von 1771. Die Ableitung naturphilosophischer Phänomene aus unbegreiflichem Wesen wird mit Seitenhieben auf Ernst Plattner abgelehnt. Gruithuisen hat sich an der damals aufblühenden kuriosen Literatur der Hinrichtungsmethoden durch Tierexperimente beteiligt. Er bemühte sich vor Civial um die Lithotrypsie und um die Möglichkeit der chemischen Auflösung von Nieren- und Blasensteinen. Er erhielt dafür einen Preis der Pariser Akademie. Später traten astronomische, geologische und geographische Themen in den Vordergrund. Gruithuisen hat über die physikalische Struktur der Himmelskörper gearbeitet und sich dabei vorwiegend mit dem Mond befaßt. Er war der erste, der die heute von vielen Fachleuten vertretene, allerdings nicht allgemein anerkannte Theorie aufstellte, daß die auf derMondoberfläche erkennbaren Krater durch Meteoreinschläge entstanden seien. Seine mit vielen Einzelargumenten vorgebrachte Behauptung der Existenz von Mondbewohnern fand schon zu seiner Zeit keinen Glauben, sondern trug ihm eher Spott ein und ist physikalisch und biologisch unhaltbar. In seinen „Analekten für Erd- und Himmelskunde“ (1 bis 7, 1830-31; 8-15, 1832-36, unter dem Titel Neue Analekten…) und dem „Jahrbuch für physikalische und naturhistorische Himmelsforscher und Geologen“ (1838-47) hat er Forschungsergebnisse der Zeit, darunter die eigenen Arbeiten, referiert und kommentiert. Bessel, Olbers, Enke, Schumacher, Schröter, Harding und andere gehörten zu seinen Korrespondenten. Ein erbitterter Gegner Schellings, von imponierender Selbständigkeit und zu polemischem Ton neigend, stand Gruithuisen der Identitätsphilosophie verständnislos gegenüber. Sein nicht geringes Verdienst besteht darin, im Kampf gegen die romantische Naturphilosophie der beobachtenden und experimentierenden Forschung das Wort geredet zu haben. Dabei führte ihn eine ausgeprägte Kombinationsgabe zu kühnen Hypothesen, die überhaupt oder für die damalige Zeit gewagt waren und Angriffsflächen boten. Erst Spätere machten auf die Fülle wertvoller und vorausgreifender Gedanken in Gruithuisens Publikationen aufmerksam, unter anderem auf seine Vorschläge für Wetterprognose, seine Ansichten über den Einfluß der Sonnenflecken, auf Beobachtungen und Deutung der periodischen Sehspiegelschwankungen. Gruithuisens Versuche und Vorschläge für Gravitations- und Gezeitenmessungen (Elkysmometer, unterirdische Sternwarte) und die Beschreibung des von seinem Schüler Hengler ausgeführten Horizontalpendels mit bifilarer Aufhängung fanden erst Jahrzehnte später Beachtung. Zum Phänomen der erratischen Blöcke entwickelte Gruithuisen für damalige Zeit fortschrittliche Vorstellungen, indem er annahm, daß sie auf dem Rücken der durch eine Flut fortgespülten Gletscher transportiert würden.

Autor

Leibbrand, Werner

Rechtehinweis Beschreibung

CC BY-NC-ND 4.0

Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften