Stein, Heinrich Freiherr von (Artikel aus Neue Deutsche Biographie)

Beschreibung

Nach dem Besuch des Gymnasiums in Merseburg und Halle/Saale studierte Stein 1874 zunächst Theologie, seit 1875 Philosophie in Berlin, unter anderem, und andere bei Hermann von Helmholtz, Eduard Zeller und Eugen Dühring, dessen „Materialismus“ er aufnahm. 1877 wurde er in Berlin bei Dühring mit der Dissertation „Über Wahrnehmung“ zum doctor philosophiae promoviert. Auf Empfehlung Malwida von Meysenbugs(1816–1903), die Stein 1878 in Rom kennengelernt hatte, wurde er im selben Jahr Erzieher von Richard (1813–83) und Cosima Wagners (1837–1930) Sohn Siegfried (1869–1930). Bald betrachtete sich Stein als „Jünger“ Wagners und ergriff dessen Partei im internen Streit um die Zukunft des Wagner-Vereins. Nach Wagners Tod stellte er mit Carl Friedrich von Glasenapp (1847–1915) das „Wagner-Lexikon, Hauptbegriffe der Kunst- und Weltanschauung Richard Wagner’s“ (1883) zusammen und gab den 10. Band von Wagners „Gesammelten Schriften“ (1883) heraus. 1881 habilitierte sich Stein in Halle über Giordano Bruno. Hier hielt er Vorlesungen über Wagner und Schopenhauer, verfaßte zahlreiche Aufsätze und vollendete seine Dramolette „Helden und Welt“, die 1883 mit einem Vorwort Wagners erschienen. Die Umhabilitation nach Berlin mit einer sprachmystischen Schrift mißlang 1883; erst mit einer unter Wilhelm Diltheys Anleitung entstandenen Studie über Boileau und Descartes wurde er im Sommer 1884 angenommen. Die Habilitationsschrift erweiterte er schließlich zu seinem Buch „Die Entstehung der neueren Ästhetik“ (1886, Nachdrucke 1964, 1995), in dem er die Grundzüge der französisch, englisch und deutsch Ästhetik vom späten 17. bis zur Mitte des 18. Jahrhundert entwickelte. In Berlin las er über die Ästhetik der Weimarer Klassik und als erster über Schopenhauer. In den Berliner Anfängen verkehrte er im Salon von Lou Andreas Salomé und Paul Rée. Durch sie lernte er Friedrich Nietzsche kennen, den er 1884 in Sils Maria besuchte. Nietzsche warb darauf mit dem Gedicht „Einsiedlers Sehnsucht“ um seine Jüngerschaft, was Stein ablehnte. In seinen letzten Jahren ging Stein auch zum Kreis um Cosima Wagner auf Distanz, der ihn nach seinem plötzlichen Tod trotzdem ideologisch vereinnahmte. In der Weimarer Republik verehrte ihn die politisch-kulturkritische Rechte als Modell des idealistischen Jünglings. Für den Nationalsozialismus spielte er hingegen keine Rolle, schon weil in seinen Schriften Heldentum als Behauptung des eigenen Selbst gegen die Welt, als Vergeistigung und Leidensvermögen gedeutet wird. Nach 1945 wurde Stein fast ausschließlich in der Nietzsche-Forschung rezipiert. Sein weltverneinender Idealismus (auch der Gegenstand seiner Gedankendichtungen) ist ein wesentliches Element des deutsch Kulturpessimismus der Jahrhundertwende; als Symptom dafür bleibt Steins Schaffen interessant.

Autor

Bernauer, Markus

Rechtehinweis Beschreibung

CC BY-NC-ND 4.0

Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften