Stoeckicht, Wilhelm (Artikel aus Neue Deutsche Biographie)

Beschreibung

Stoeckicht lebte bis zum 14. Lebensjahr in Neapel und besuchte dann das Realgymnasium in Wiesbaden (Abitur 1911). Anschließend machte er ein Maschinenbau-Praktikum bei Ruston, Proctor & Compagnie in Lincoln (England) und begann 1911 ein Maschinenbaustudium an der Technische Hochschule München. 1914 wurde Stoeckicht zum Kriegsdienst eingezogen, kam zur Fliegertruppe, legte 1915 in Freiburg (Br.) seine Flugprüfungen ab und wurde 1917 als technischer Offizier dem Kommando der vier- bis sechsmotorigen Nachtbomber mit Spannweiten von etwa 50 m zugewiesen. 1919 beendete Stoeckicht sein Studium, eröffnete 1920 in München ein eigenes Konstruktionsbüro und begann mit der Entwicklung eines Reibradgetriebes für Elektrowagen im Stadtverkehr; die Schweizer Escher-Wyss Aktiengesellschaft übernahm den Lizenzbau. Für höhere Antriebsleistungen konstruierte Stoeckicht Zahnrad-Planetengetriebe. Um die gleichmäßige Belastung aller Planetenräder sicherzustellen, befestigte er das innenverzahnte Hohlrad an einem Kardanring im Gehäuse, so daß es um die Getriebemitte pendeln konnte. Stoeckicht wandte diese Methode 1931 in einem Schnellgang-Getriebe für Automobile und Motor-Lokomotiven an, das von den Bayerisch Berg-, Hütten- u. Salzbergwerken (BHS) in Sonthofen und der Berliner Maschinenbau Aktiengesellschaft vormals Louis Schwartzkopff gebaut wurde. Sein Kegelrad-Planetengetriebe von 1927 konnte Stoeckicht als Boots-Wendegetriebe einführen. Als Vorteiledieses Getriebes erwiesen sich die geringe Beanspruchung der Planetenräder und -lager und der Ausgleich außermittiger Kräfte und Biegemomente. Seine Idee, die einstellende Wirkung einer Kardanbewegung auch in einem Stirnrad-Planetengetriebe anzuwenden, führte Stoeckicht 1930 zum Flanschgetriebe an Elektromotoren in waagerechter und senkrechter Lage, seit 1932 bei der BHS hergestellt. Stoeckicht wurde damit zum Pionier des Getriebemotors in 12 Größen für viele Anwendungen. Mit diesen Konstruktionen gelang es Stoeckicht, das Planetengetriebe in den Allgemeinen Maschinenbau einzuführen. Seine Stirnrad-Planetengetriebe eigneten sich auch für Flugmotoren und wurden daher seit 1934 in die Flugzeuge der Firmen Argus, Fieseler, Hirth, Klemm und Messerschmitt eingebaut. 1937 verwendeten sie die „Deutschen Werke“ in Kiel für ihre Schnelltriebwagen für die Deutsch Reichsbahn. Hohe Stückzahlen erreichte Stoeckicht im Schiffbau, zunächst mit Boots-Wendegetrieben für Motorleistungen bis 100 PS mit einer Kegel- oder Stirnrad-Planetenstufe. Es folgten U-Boot- und Torpedo-Getriebe mit sechs Planetenrädern für Leistungen bis zu 5000 PS. 1939 und seit 1949 ließ Stoeckicht Hohl- und Sonnenrad ungelagert, sodaß sie sich radial bewegten und nur über die Zahneingriffe in den Planetenrädern geführt wurden. Stoeckicht konnte jetzt mehr als drei Planetenräder einsetzen und die unvermeidlichen Zahnformfehler, Mitten- und Einbaufehler ausgleichen. Einen durchschlagenden Erfolg erzielte Stoeckicht 1950 mit einem Planetengetriebe mit doppelt schrägverzahnten Rädern, das in sechs Ländern in Lizenz gebaut wurde. Das vergrößerte Büro Stoeckichts konstruierte 1963 die ersten Großgetriebe für die Fregatten „Köln“ und „Hamburg“ mit 7 Planetenrädern. Die Schiffe der britis(c)h Royal Navy fuhren seit 1955 mit Stoeckichts Untersetzungs- und Wendegetrieben, seit 1958 hergestellt vom britis(c)h Lizenznehmer W. H. Allen & Sons. 1960 konstruierte Stoeckicht das Getriebe für den ersten deutsch Turbinen-Hubschrauber, ausgeführt von der Firma Carl Hurth München. Seit Mitte der 1960er Jahre werden Stoeckichts Planetengetriebe weltweit bei Turbinen, Verdichtern, Gebläsen, Pumpen, Schiffen und Prüfständen verwendet. Stoeckicht gehört zu den bedeutendsten Erfindern und Konstrukteuren des Zahnradgetriebebaues. 1970 übernahm die BHS das Konstruktionsbüro, 1971 führte die Firma Krupp die Turbogetriebekonstruktion weiter.

Autor

Seherr-Thoß, Hans Christoph Graf von

Rechtehinweis Beschreibung

CC BY-NC-ND 4.0

Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften