Ulrichskreuz

Historischer Verein Neuburg an der Donau

Beschreibung

Bei diesem Objekt handelt es sich um ein Ulrichskreuz, ein Andenken an eine Wallfahrt zum Grab des Heiligen Ulrich in Augsburg. Ulrichskreuze sind seit Jahrhunderten in hoher Auflage verbreitet. Formal gesehen ist ein Ulrichskreuz eine besondere Kreuzform mit gleichlangen, konischen Kreuzbalken. Das Ulrichskreuz kann als Sonderform eines griechischen Kreuzes (gleichlange Kreuzarme) oder eines Tatzenkreuzes (sich nach außen verbreiternde Kreuzarme) gesehen werden. Inhaltlich ist das Kreuz mit der Person des Heiligen und Augsburger Bischofs Ulrich (um 890-973) sowie mit dem historischen Ereignis der Schlacht am Lechfeld (955) verknüpft. Ulrich war ein Spross des schwäbischen Adelsgeschlechts der Hupaldinger, die sich später nach der von ihnen begründeten Burg Dillingen "comites de Dilinga" (Grafen von Dillingen) nannten. Um 890 wurde er wahrscheinlich am ursprünglichen Sitz der Hupaldinger in Wittislingen, möglicherweise aber auch in Augsburg geboren. Für eine kirchliche Karriere vorgesehen, war er von 900 bis 908 Schüler in der Abtei St. Gallen. 909 wurde er Kämmerer bei seinem Onkel, Bischof Adalbero von Augsburg, der im selben Jahr starb. Weil Ulrich bei der Nachfolge übergangen wurde, zog er sich auf seine Familiengüter zurück. 923 wurde Ulrich dann doch zum Bischof von Augsburg geweiht, ein Amt, das er bis zu seinem Tod 973 innehatte. 993 wurde er heiliggesprochen, wobei er als erste Person gilt, die nach dem prinzipiell bis heute gültigen Verfahren kanonisiert wurde, also nach vorheriger Prüfung durch den Papst in Rom für heilig erklärt wurde. Im Zuge des Kanonisationsverfahrens erlangte auch eine Lebensbeschreibung des Heiligen Ulrich ("Vita Sancti Uodalrici"), Bedeutung, die der Domprobst Gerhard von Augsburg als Augenzeuge und enger Mitarbeiter Ulrichs verfasst hatte und die heute eine wichtige kulturgeschichtliche Quelle für das 10. Jahrhundert bildet. In Gerhards Biografie wird auch die Schlacht am Lechfeld erwähnt. Dort, auf der Schotterebene südlich von Augsburg, führte König Otto I. (912-973) ein Heer mit Rittern aus verschiedenen Teilen seines ostfränkischen Reichs in den Kampf. Dabei konnten sie die Ungarn, die seit Ende des 9. Jahrhunderts immer wieder plündernd und brandschatzend durch Mittel- und Westeuropa gezogen waren, vernichtend schlagen und den Ungarneinfällen dauerhaft ein Ende setzen. Der Sieg trug zur Stabilisierung von Ottos Herrschaft bei und eröffnete ihm auch den Weg zur Kaiserkrönung 962. Der Beitrag von Ulrich zum militärischen Erfolg bestand nicht darin, dass er selbst an der Schlacht teilnahm, sondern darin, dass er eine ungarische Belagerung Augsburgs beherzt abwehrte, wobei er selbst, zu Pferde sitzend, ohne Rüstung, im Kampfgetümmel die Verteidiger angefeuert habe, wie Gerhard schreibt. Erst im 15. Jahrhundert bildete sich die Legende heraus, Ulrich habe selbst an der Schlacht teilgenommen. Dabei sei ein Engel erschienen und habe Ulrich ein Kreuz übergeben. Der Bischof habe es in der Schlacht hochgehalten und damit die Kämpfer des Königs zum Sieg angespornt. Diese Szene ist auf der Vorderseite von Ulrichskreuzen, auch auf dem Exemplar im Stadtmuseum Neuburg, auf den Querbalken und im Zentrum dargestellt. Tatsächlich trug Ulrich als Pektorale (Brustkreuz) ein Kreuz, das möglicherweise Partikel des Kreuzes Christi enthielt, die Ulrich von seiner zweiten Romreise 954 mitgebracht hatte. 1320 ist Ulrichs Brustkreuz mit Silberblech gesichert worden. Für diese Kreuzes- und Ulrichs-Reliquie, das eigentliche "Ulrichskreuz", wurde 1494 von den Augsburger Goldschmieden Nikolaus (gest. 1514) und Georg (um 1454-1527) Seld ein mit Gold und Edelsteinen geschmücktes Reliquiar in der Form eines gleichseitigen Kleeblattkreuzes geschaffen. Auf der Rückseite dieses Behältnisses ist jene Szene eingraviert, die später auch auf den als Wallfahrtsandenken und Devotionalien erworbenen Ulrichskreuzen zu sehen ist: ein Engel übergibt während der Lechfeld-Schlacht ein Kreuz an Ulrich. Damit ist erstmals die Verbindung zwischen dem von Ulrich aus Rom mitgebrachten und von ihm getragenen Kreuz und einer Schlacht, an der Ulrich nach Aussage einer zeitgenössischen Quelle nicht teilgenommen hat, bildlich geschaffen. Abertausende von Ulrichskreuzen, die als Andenken an eine Wallfahrt zu Ulrichs Totenlege in Augsburg ausgegeben wurden, verbreiten die Vorstellung vom Bischof, der mit hocherhobenem Kreuz gegen die Feinde kämpft. Beim Ulrichskreuz aus dem Stadtmuseum Neuburg ist zusätzlich zur Lechfeld-Schlacht auf dem oberen Längsbalken Gott mit dem Reichsapfel, einem Herrschaftszeichen der deutschen Könige und Kaiser, zu sehen. Am unteren Längsbalken halten zwei kniende Engel die Mitra des Bischofs Ulrich über zwei Wappen, dem des Heiligen Ulrich und dem der Heiligen Afra. Am rechten Kreuzarm ist das Namenszeichen "Drentwett" zu lesen. Diese Signatur verweist auf den Hersteller des Ulrichkreuzes, die Augsburger Prägeanstalt Drentwett, die 1842 von Gottfried Drentwett (1817-1871) gegründet worden war und von seinem Sohn Carl (1848-1878) und seinem Schwiegersohn Heinrich Schmid wohl bis zum Ersten Weltkrieg weitergeführt wurde. Wie Verkaufskataloge belegen, gehörte die Herstellung von Wallfahrtsandenken zum Angebot dieser Firma. Auf der Rückseite dieses Ulrichskreuzes befindet sich ein Benediktussegen, ein seit dem 17. Jahrhundert populäres Schutz-, Abwehr- und Heilmittel an der Grenze zwischen religiösem und magisch-abergläubischem Gebrauch. Der Benediktussegen besteht aus Buchstabenkombinationen. Sie sind aus den Anfangsbuchstaben der Wörter von lateinischen Sprüchen gebildet und ergeben aufgelöst bzw. ergänzt folgende Texte: CSPB = C(rux) S(ancti) P(atri) B(enedicti) = Kreuz des Heiligen Vater Benedikt CSSML = C(rux) S(acra) S(it) M(ihi) L(ux) = Das Heilige Kreuz sei mir Licht NDSMD = N(on) D(raco) S(it) M(ihi) D(ux) = Nicht der Drache sei mein Führer VRS NSMV SMQ LIVB = V(ade) R(etro) S(atana) N(unquam) S(uade) M(ihi) V(ana) S(unt) M(ale) L(ibas) I(pse) Venena B(ibas) = Weiche zurück Satan, niemals rate mir Eitles, bös ist, was du bietest, trinke selbst das Gift Zusätzlich steht auf dem Ulrichskreuz im Neuburger Stadtmuseum noch das Nomen Sacrum Christi, also die Buchstabenkombination IHS. Diese leitet sich ab aus den ersten drei Buchstaben des Namens Jesu in griechischen Buchstaben und war sowohl in handschriftlichen wie gedruckten Bibeln des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit eine bei Schreibern und Druckern geläufige Abkürzung. Später wurde die Buchstabenkombination IHS auch deutend aufgelöst, etwa mit Bezug auf die Schlacht an der Milvischen Brücke (321 n. Chr.), in der der römische Kaiser Konstantin der Große (270/288-337 n. Chr.) über seine Rivalen siegte. Der Legende nach hatten er und sein Heer vor dem Kampf die Vision eines Kreuzes und hörten (auf Griechisch) die Worte, die auf Lateinisch lauten: I()n H(oc) (S)igno [vinces], Mit diesem Zeichen (wirst du siegen). Da der Kaiser seinen militärischen Erfolg dem Symbol der Christen zuschrieb, betrieb er in der Folge eine christenfreundliche Politik und gewährte das Recht zur freien Religionsausübung der Christen. Das Nomen Sacrum Christi wird auch interpretiert als I(esus) H(ominum) S(alvator) [= Jesus Retter der Menschen] oder auf Deutsch: I(esus), H(eiland), S(eligmacher). Abgebildet sind auf der Rückseite ferner zwei der drei Augsburger Bistumsheiligen (der Heilige Simpert fehlt), nämlich links Ulrich mit seinen Attributen Buch und Fisch, die sich auf Heiligenlegenden beziehen. Rechts ist die Heilige Afra zu sehen, die noch in römischer Zeit in Augsburg den Märtyrertod auf dem Scheiterhaufen erlitten haben soll. Darüber schwebt auf einer Wolke der Heilige Benedikt von Nursia (um 480-547), kenntlich durch den Kelch als Attribut. Das Ulrichskreuz aus dem Stadtmuseum Neuburg hat neben der Darstellung Benedikts und der Wiedergabe des mit seinem Namen verbundenen Segens einen weiteren benediktinischen Bezug: Das im Zentrum abgebildete Gotteshaus war bis zur Säkularisation 1802 die Klosterkirche der Benediktiner-Reichsabtei St. Ulrich und Afra. Dort fand Ulrich seine letzte Ruhestätte. Die Betonung des Benediktinischen ist wohl auch darin begründet, dass die Wallfahrt zum Heiligen Ulrich jahrhundertelang von den Benediktinern von St. Ulrich und Afra verwaltet wurde. Bereits im 16. Jahrhundert gaben sie Ulrichkreuze als Wallfahrtsandenken aus. Diese wurden vorher an der originalen Kreuz- und Ulrichs- Reliquie anberührt und erlangten dadurch den Status einer Berührungsreliquie, also eines Objekts, das mit dem eigentlichen Kultobjekt in direkten Kontakt gekommen war. 1955, zur Tausendjahrfeier der Schlacht auf dem Lechfeld, kam es auf Initiative des Augsburger Bischofs Josef Freundorfer (1894-1963) zu einem Aufschwung der Ulrichverehrung, die durch die Ulrichs-Jubiläen 1973 (tausendster Todestag), 1993 (tausend Jahre Heiligsprechung) und 2023 bestärkt wurde. Die jetzige Augsburger Katholische Stadtpfarrkirche St. Ulrich und Afra ist bis heute das Zentrum für die Verehrung der Bistumsheiligen Ulrich, Afra und Simpert und besonders am Festtag des Heiligen Ulrich, am 4. Juli, Ziel von Wallfahrern. In der populären Frömmigkeit, in Glaube, Aberglaube und Brauch, fand das Ulrichskreuz nicht nur als Wallfahrtsmitbringsel aus Augsburg, sondern auch als kraftvolles Schutz- und Heilmittel Verwendung. Ulrichskreuze sollten gegen Ratten- und Mäuseplagen, Pest und Unwetter helfen. Die Grundfläche des Ulrichkreuzes mit den gradlinig nach außen sich verbreiternden, gleich langen Kreuzarmen konnte mit unterschiedlichen Segen, Anrufungen, Sprüchen und Beschwörungen gefüllt werden. In den allermeisten Fällen war die Szene auf dem Lechfeld mit Kreuz, Engel, Bischof und kämpfenden Heeren zu sehen. Dazu konnten (wie beim vorliegenden Beispiel) ein dämonenabwehrender Benediktussegen, aber auch ein Zachariassegen oder Abbildungen der Pestheiligen Sebastian und Rochus kommen.

Autor

Dr. Stephan Bachter, Historischer Verein Neuburg an der Donau

Rechtehinweis Beschreibung

CC BY-NC-ND 4.0