Beschreibung
In den 1990er-Jahren wurden in der Synagoge Ichenhausen Teile einer Genisa (Depot zur Aufbewahrung von Schriften) geborgen. Darunter befanden sich mehr als 90 Torawimpel (hebr. "Mappa", dt. "Tuch"), d. h. bestickte oder bemalte Bänder, mit denen die Tora-Rollen umwickelt wurden. Sie wurden in aschkenasischen Gemeinden Westeuropas traditionell aus dem Leinentuch gefertigt, in das ein neugeborener Knabe bei seiner Beschneidung gewickelt war. Der zu einem aus vier Streifen zusammengenähte, etwa 3 m lange Wimpel trägt üblicherweise die Namen des Jungen und seines Vaters sowie das Geburtsdatum nach dem jüdischen Kalender. Darauf folgen der Segenswunsch für ein langes Leben und der Satz "Er wachse heran zur Tora und zur Chuppa (Hochzeit) und zu guten Werken". Wenn die Familie den Jungen erstmals in der Synagoge präsentierte, wurde die Tora mit seinem Beschneidungswimpel umwickelt und der Wimpel später der Synagoge gestiftet: ein Zeichen der Bindung des Menschen an die Tora und seiner Einbindung in die Gemeinde.
Die Ichenhausener Wimpel, die aus der Zeit von 1652-1784 stammen, stellen einen einzigartigen Schatz jüdischer Volkskultur dar. Der gezeigte "Prachtwimpel" ist besonders kunstvoll mit Seidengarnen bestickt, die zwölf verschiedene Farbtöne aufweisen, darunter melierte Garne und ein besonders intensives, teures Rot (Cochenille). Das Exemplar weist auf Hebräisch den Text auf: "Jehuda, Sohn des/ Schimeon, möge er lange leben/ Er wachse heran zur Tora und zur Chuppa und zu guten Werken/ Geboren am Mittwoch, 10. Adar 466, nach der kleinen Zählung (entspr. 1706)" (Anm.: Die beiden letzten Streifen wurden beim Zusammennähen vertauscht).