Torso einer Stand-Schreit-Statue

Staatliches Museum Ägyptischer Kunst München

Beschreibung

Der überlebensgroße Torso steht in der fast dreitausendjährigen formalen Tradition der ägyptischen „Stand-Schreit“-Figur mit vorgestelltem linkem Bein, eingebunden in den raumschaffenden Rahmen von Rückenpfeiler und ursprünglicher Basisplatte. Die ikonographischen Merkmale beschränken sich auf den gegürteten dreigeteilten Schurz. Die Stilistik der Körperbildung wird durch die klare Gliederung des Oberkörpers in drei horizontale Zonen („tripartition“) bestimmt, die durch eine weich eingesenkte vertikale Mittellinie verbunden werden. Der athletische Körper und der nach vorne drängende Schritt geben der monumentalen Plastik eine fast aggressive Dynamik, ohne ihr jedoch die überlegene Ruhe zu nehmen. In der Modellierung des Oberkörpers ist die Auseinandersetzung der ägyptischen Bildhauer mit der archaischen Plastik der Griechen zu erkennen, der eine selbstbewusste Alternative gegenübergestellt wird. Die Identität des Dargestellten bleibt trotz einer langen hieroglyphischen Inschrift auf dem im oberen Teil stark zerstörten und unten fehlenden Rückenpfeiler unbekannt. Sie nennt den Ortsnamen Bachet, griechisch Hermopolis, einen Kultort des Gottes Thoth im Delta, nahe dem modernen Tell Baklia. Da im Text die Priester von Hermopolis angesprochen werden, kann man annehmen, dass die Statue in einem Tempel aufgestellt war. Ihr überlebensgroßes Format lässt auf einen Auftraggeber in hoher politischer Position denken, an einen Bürgermeister oder einen Militärführer. Ein königlicher Hintergrund kann wegen des Inhalts der Inschrift und des Fehlens eines Bartansatzes ausgeschlossen werden. Die Statue belegt die Lebendigkeit und Qualität der ägyptischen Kunst, die diese in der Auseinandersetzung mit der griechischen Kunst kurz vor dem Ende der politischen Unabhängigkeit Ägyptens, in der letzten Phase der pharaonischen Zeit, noch einmal gewann. Sie ist eine der besten Arbeiten dieser Epoche, repräsentiert den wichtigsten Statuentypus der altägyptischen Kunst und veranschaulicht das Wechselspiel von Tradition und Innovation, aus dem letztendlich drei Jahrtausende lang deren Qualität resultierte.