Isis lactans mit Horuskind

Staatliches Museum Ägyptischer Kunst München

Beschreibung

Ein erster Blick auf die Sitzfigur lässt kaum an Altägypten denken. Sowohl der reiche Faltenwurf des Gewandes als auch die Neigung des Kopfes scheinen eher der römischen Kunst anzugehören. Aber die ikonographischen Details stehen ganz in ägyptischer Tradition: Die Frisur mit Mittelscheitel und Korkenzieherlocken stammt aus dem frühptolemäischen Ägypten; in die tiefe Bohrung auf dem Kopf war ursprünglich der Kopfputz einer Göttin eingesetzt, und das zwischen den Brüsten geknotete Gewand ist die typische Kleidung der Göttin Isis. Der formale Aufbau der Gesamtkomposition zeigt das vertraute Bild der stillenden Muttergöttin: Auf dem linken Oberschenkel der Frauenfigur sind das rechte und die Ansatzstelle des linken Beines eines Kinds erhalten geblieben, das vom linken Arm der Mutter gehalten wurde; ihre rechte Hand greift zur linken Brust. Es ist das Motiv der Isis mit dem Horus-Knaben, das von unzähligen Statuen und Statuetten her, meist aus Bronze und Fayence, vertraut ist und sich bis ins Mittlere Reich zurückverfolgen lässt. Während im altägyptischen Typus Mutter und Kind im rechten Winkel zueinander angeordnet sind, ist diese strenge Axialität hier aufgebrochen. Die Verbindung altägyptischer Ikonographie und hellenistischer Stilistik ist in dieser Statue außergewöhnlich harmonisch gelungen. Der gleitende Übergang pharaonischer Traditionen in die frühchristliche Kunst wurde möglich durch die Analogie der inhaltlichen Nachbarschaft der altägyptischen Gottesmutter zur frühchristlichen Muttergottes: Die Isis Lactans ist schon früh als Urbild der christlichen Madonna mit dem Jesusknaben erkannt worden.