Standfigur einer Frau („Meroitische Venus“)

Staatliches Museum Ägyptischer Kunst München

Beschreibung

Die Statue einer unbekleideten Frau, die leicht nach vorn gebeugt die rechte Hand vor ihren Körper hält und mit der Linken ihre Scham bedeckt, entspricht dem Typ der „Venus pudica“ und folgt dem Vorbild der Aphrodite von Knidos, die um 350 v. Chr. von dem griechischen Bildhauer Praxiteles geschaffen wurde. Der römische Autor Plinius bemerkt zu dieser Skulptur: „Die Venus des Praxiteles übertrifft alle Kunstwerke der ganzen Welt. Viele haben die Seefahrt nach Knidos unternommen, bloß um diese Statue zu sehen." Rund 50 Repliken sind von dieser Statue bekannt, da viele Städte der hellenistisch-römischen Welt „ihre“ Venus/Aphrodite haben wollten. Auch für Meroe als Hauptstadt eines bedeutenden Reiches, das zur Ptolemäer- und Römerzeit (300 v. Chr. – 350 n. Chr.) der südliche Nachbar Ägyptens ist, war die Präsentation einer solchen Statue ein Zeichen von Kultur und Weltoffenheit. Doch erwarb man nicht einfach eine Replik, sondern beauftragte einen meroitischen Bildhauer, eine Statue nach dem Vorbild der Aphrodite von Knidos zu schaffen. So wird aus dem hellenistischen Prototyp ein afrikanisches Schönheitsideal mit fülligen Proportionen und einem am meroitischen Menschenbild orientierten Gesicht, eine „Venus à la Méroitique“. Als Vorbild könnte eventuell eine Kleinbronze oder Terrakotta-Figur gedient haben. Die Statue gehörte zur Ausstattung eines Heiligen Sees in der königlichen Hauptstadt Meroe, um den zahlreiche Statuen und Dekorationselemente nach römischen und ägyptischen Vorbildern aufgestellt waren – meroitische Künstler greifen Formen und Motive der ägyptischen und der klassisch-antiken Kunst auf und setzen sie in ihre eigene Bildsprache um. Dieser Komplex diente wohl auch zur Demonstration der Weltläufigkeit des meroitischen Reiches, das in politischem und wirtschaftlichem Kontakt zu Rom stand.