Reflexionen und Jubiläen 1835, 1842, 1910 und 1935
Bereits 1812 erscheinen die ersten Publikationen, die sich mit der Geschichte des Oktoberfestes auseinandersetzen. Teils von Augenzeugen wie Anton Baumgartner (1769-1831) geschrieben, teils aus Kompilationen älterer Programme und Berichte bestehend, spiegeln sie ein Interesse primär der Münchner wieder, ihr junges Volksfest zu reflektieren und zu feiern.
Besonders auch wegen ihrer Bedeutung als Repräsentationsort des Königshauses wurden Oktoberfeste immer wieder mit großem Aufwand gefeiert. Stadt und Herrscherhaus nutzten diverse Jubiläen, um sich zu inszenieren. Unter den Festen in der Regierungszeit Ludwigs I. (1786-1868) stechen dabei insbesondere die Feiern von 1835 und 1842 heraus. 1835 feierte man die silberne Hochzeit des Königs und damit auch 25. Wiederkehr des ersten Festes; 1842 heiratete Ludwigs Sohn und Nachfolger Maximilian II. (1811-1864). Beide Ereignisse wurden von prächtigen Festzügen begleitet, die der Lithograph Gustav Kraus (1804-1852) im Detail festhielt.
Anlässlich des Jubiläums im Jahr 1910 richtete die Stadt München das bisher prächtigste Oktoberfest überhaupt aus. Zu den aufwändigen Feierlichkeiten erschienen unter anderem drei offizielle Festschriften und eine nie zuvor erreichte Zahl privat verlegter Programmzeitungen. 25 Jahre später, 1935, diente das 125. Jubiläum dagegen vor allem der Selbstdarstellung nationalsozialistischer Ideologie.
Frühe Darstellungen zum Oktoberfest
Der Jurist Anton Baumgartner (1769-1831) stammte aus derselben Münchener Bürgerfamilie wie Franz Baumgartner, dem Ideengeber und Gewinner des ersten Pferderennens 1810. Anton Baumgartner war von 1799 bis zu seiner Amtsenthebung im Jahre 1805 Polizeidirektor von München und diente ab 1809 als Baurat der Stadt. Er verfasste zahlreiche Werke, insbesondere Beschreibungen von Münchener Ereignissen und der Geschichte der Stadt. Aus seiner Feder stammen die hier präsentierten drei Darstellungen, bei denen es sich um die ältesten Beschreibungen der Festlichkeiten handelt. Neben dem offiziellen Festbericht von Andreas von Dall'Armi zum Oktoberfest 1810 und den erhaltenen Programmen ist Baumgartner der wichtigste Textzeuge zur Stimmung auf den frühen Oktoberfesten.
Das anonym erschienene Oktoberfest-Buch von 1827 wertet hauptsächlich die offiziellen Programme und Berichte des Landwirtschaftlichen Vereins in Bayern aus und beschränkt sich meist auf eine Zusammenfassung des dort erschienenen Materials. Eine Fortführung des Werks über das Jahr 1827 hinaus wurde zwar angekündigt, erschien aber nicht.
Das Jubiläumsjahr 1835
1835 feierte das Königspaar, Ludwig I. (1786-1868) und Therese (1792-1854), seine Silberhochzeit. Auch das Oktoberfest und die Gründung des Landwirtschaftlichen Vereins in Bayern jährten sich damit zum 25. Mal. Entsprechend prächtig wurde das Oktoberfest begangen, wobei der Höhepunkt ein großer historischer Festzug am 4. Oktober 1835 war, den der Lithograph Gustav Kraus (1804-1852) auf 24 Steindrucken abbildete.
Von höfischer Seite erschienen abermals zahlreiche Huldigungsgedichte und -gedenkblätter, unter denen ein auf (ehemals weißer) Seide gedrucktes hebräisches Gedicht des Benedikt Mainer (gest. 1870), Leiters der israelitischen Knabenschule, hervorsticht. Ein weiteres, anonym erschienenes Huldigungsgedicht hat sich an der Bayerischen Staatsbibliothek in zwei Fassungen erhalten: Neben einem normalen Druck existiert es auch mit zum Teil golden gedruckten Buchstaben und einem aufwändig blindgeprägten Titelblatt.
Wie bereits bei den zahlreichen anonymen Huldigungsgedichten zur Kronprinzenhochzeit 1810 kann man auch davon ausgehen, dass am königlichen Hof durchaus nicht unbekannt war, wer jeweils die Anfertigung des Gedichts veranlasst hatte.
Während sich der Bericht des Landwirtschaftlichen Vereins in Bayern vor allem durch seine spezielle Bindung von Berichten anderer Jahre abhob, ließ die Stadt München selbst 1835 erstmals eine offizielle Oktoberfest-Festschrift drucken. Der Bibliothekar Ulrich von Destouches (1802-1863), der ab 1845 die Stadtchronik führte, stellte darin systematisch die Geschichte der ersten 24 Oktoberfeste - 1813 war das Fest wegen der Kriegsereignisse entfallen - zusammen.
Die Fürstenhochzeit 1842
Am 12. Oktober 1842, dem Hochzeitstag seiner Eltern, heiratete Kronprinz Maximilian von Bayern (1811-1864) die preußische Prinzessin Marie Friederike (1825-1889). Dieses Ereignis strahlte natürlich auch auf das Oktoberfest des Jahres aus. Zur Feier der Hochzeit wurden vier Tage später 35 Brautpaare aus allen Regierungskreisen Bayerns in München getraut und zogen anschließend festlich geschmückt am Königszelt auf der Theresienwiese vorüber.
Neben dem offiziellen Festprogramm des Gesamtfestes dokumentierten ein Programm und eine Gruppe von drei Lithographien des Künstlers Gustav Kraus (1804-1852) den Festzug der Brautpaare als das zentrale Ereignis des Festes. Das im selben Jahr erschienene Gedenkbuch von F. Rudolph betrachtet vordergründig die Geschichte des Oktoberfests als Ganzes, widmet sich aber auch ausführlich der Gruppenhochzeit, indem z. B. die Kleidung der einzelnen Brautpaare detailliert beschrieben wird.
Das Jubiläumsjahr 1910
Das 75jährige Jubiläum des Oktoberfestes 1885 wurde zwar groß gefeiert, trat publizistisch aber weniger hervor. 1910 nahm die Stadt München das 100. Jubiläum zum Anlass, das Fest mit einem Aufwand zu feiern, wie es zuvor und seitdem nicht mehr geschehen ist. Neben großdimensionierten historisierenden Festveranstaltungen und Staffagebauten wurden dabei auch eine große historische Ausstellung und ein Festzug durchgeführt.
Der Archivar, Stadtchronist, Historiker und Gründer des Münchner Stadtmuseums, Ernst von Destouches (1843-1916), organisierte nicht nur die Ausstellung, sondern stellte auch die Festschrift zusammen. Diese erschien 1910 in zwei Ausgaben: einer besonders ausführlichen und reich ausgestatteten Ausgabe, der Säkular-Chronik, die nur in wenigen Exemplaren an ausgesuchte Persönlichkeiten verteilt wurde, sowie einer in größerer Auflage verbreiteten, stark gestrafften Volksausgabe, die zusätzlich Texte vieler bayerischer Schriftsteller wie Josef Ruederer (1861-1915), Josef Benno Sailer (1866-1933) oder Ludwig Thoma (1867-1921) enthält. Zwei Jahre später erschien als dritte Ausgabe eine weniger gestraffte Fassung der großen Säkular-Chronik.
In Konkurrenz zu diesen offiziellen Festschriften wurden 1910 in privaten Verlagen verschiedenste Jubiläumshefte und -zeitungen veröffentlicht. Die Oktoberfestzeitung von Josef Benno Sailer nahm dabei eine Art semi-offizielle Stellung ein. Ein weiteres, im Verlag von E. Stahl erschienenes Heft erhielt sogar eine zweite Auflage.
Der reich bebilderte Oktoberfestbrief der Firma Cosma steht für zahlreiche weitere Souvenirs und Geschenkartikel, die 1910 anlässlich des Jubiläums erschienen.
Das Jubiläumsjahr 1935
1935, zwei Jahre nach der nationalsozialistischen "Machtergreifung", wurde das 125jährige Jubiläum des Oktoberfests begangen. Die nationalsozialistischen Machthaber stellten die Festlichkeiten unter das Motto "Stolze Stadt - Fröhlich Land" und versuchten, die Geschichte des Festes in ihrem Sinne umzudeuten. Anders als 1910 wurde auf eine große Jubiläumsausstellung oder ausführliche Festschriften verzichtet; die Festschrift von 1935 unterscheidet sich hinsichtlich Format und Inhalt nur wenig von "normalen" Oktoberfestzeitungen anderer Jahre.
Das Programm des Festzuges, das älteste separat gedruckte derartige Programm im Besitz der Bayerischen Staatsbibliothek, dokumentiert die genaue Zusammenstellung der damals marschierenden Gruppen. Erstmals liefen hier Schützen und Trachtengruppen nicht mehr in zwei getrennten Zügen, sondern gemeinsam (wenn auch hintereinander), dazwischen folgte ein historischer Teil, der sich sichtbar bemühte, die Bedeutung der Monarchie für das Oktoberfest möglichst herunterzuspielen. Über den Zug verteilt marschierten Abordnungen verschiedener NS-Organisationen.
Die offiziellen Publikationen verzichten weitgehend darauf, nationalsozialistische Symbole augenscheinlich zu präsentieren. Während die Festschrift nur eine winzige Hakenkreuzflagge zeigt, kommt das Titelbild der privat erschienenen Oktoberfestzeitung den realen Verhältnissen von 1935 deutlich näher, als nationalsozialistische Symbolik bereits die Theresienwiese prägte. 1936 wurde es offiziell untersagt, die bayerischen oder Münchener Farben auf dem Oktoberfest offiziell zu hissen. Trachten- und Schützengruppen bilden seitdem einen gemeinsamen Festzug.