Geistliche Literatur 12.-15. Jahrhundert

Auch in der klassischen Zeit setzt sich in Bayern neben den großen gattungsgeschichtlichen Formen und stofflichen Neuansätzen (Nibelungenlied, Artus- und Gralsepik des Parzival) die Tradition der geistlichen Literatur fort. Deren Epik hat Anteil an der höfischen Formkunst, was sich z.B. in der Verehrung des Augsburger Bischofs Ulrich (923-973) in dem 1605 Verse umfassenden Gedicht über St. Ulrichs Leben niederschlägt, das der im Text genannte Priester Albertus 1183 bis 1187 nach lateinischer Vorlage verfasst hat. Den stärksten Anschluss an die ältere höfische Literatur zeigt jedoch – neben den geistlichen Epen des aus Ostschwaben stammenden Konrad von Heimesfurth (1. Hälfte des 13. Jahrhunderts) – die nach 1231 entstandene Legende des hl. Georg des Reinbot von Durne im Auftrag Herzogs Otto II. von Bayern (1206-1253). Eine Zwitterstellung nimmt wiederum "Die Erlösung" ein, ein heilsgeschichtliches Epos eines unbekannten geistlichen Verfassers, das im bewussten Kontrast zum geblümten Stil des höfischen Minneromans seinen religiösen Stoff mit den Mitteln höfischer Dichtung vorträgt.

Für eine literarische Innovation sorgt die franziskanische Literatur um David von Augsburg (ca. 1210-1271), des bedeutendsten deutschen Vertreters franziskanischer Frömmigkeit und Mystik. Im Kreis der Franziskaner entstehen neue Formen der Erbauungsliteratur: Vers- und spekulativer Prosa-Traktat, Gebet- und Betrachtungsbuch, verschriftlichte Lesepredigt. Vor allem Davids Ordensbruder Berthold von Regensburg (um 1210-1272) mit seinem wirkmächtigen Predigtwerk ist hier zu nennen; die Predigtthemen nehmen Alltägliches auf, wobei kein Stand im Sündenregister verschont wird. Aus dem Augsburger Kreis geht auch eine anonyme Sammlung von Gebeten, Predigten, Traktaten bzw. Exzerpten zur Unterweisung im geistlichen Leben hervor, der "Baumgarten geistlicher Herzen". Er gilt als das erste Erbauungsbuch in deutscher Prosa und enthält Texte aus Werken Bernhards von Clairvaux (um 1090-1153), Davids von Augsburg (um 1200-1272) und Bertholds von Regensburg (um 1200/10-1272). Eines der meist rezipierten spätmittelalterlichen Erbauungsbücher ist die Sentenzensammlung "Die vierundzwanzig Alten" oder "Der güldene Thron der minnenden Seelen" des Basler Franziskaners Otto von Passau (urkundlich 1362-1385).

Eine reiche Entfaltung klösterlichen Lebens, die sich in der Abfassung, Überlieferung und Übertragung geistlichen Schrifttums behauptet, zeigen nicht zuletzt die dominikanischen Frauenklöster Schwabens und Frankens im 14. Jahrhundert. Hier sind es besonders die beiden Mystikerinnen Adelheid Langmann (1306-1375) im Kloster Engelthal bei Nürnberg sowie Margareta Ebner (1291-1351) im Kloster Maria Medingen bei Dillingen mit ihren jeweiligen Offenbarungen. Letztere hat Kontakt zum Straßburger Dominikaner Johannes Tauler (um 1300-1361), von dessen Predigten rund 80 von ihm autorisiert und in Sammlungen zusammengestellt worden sind. Im 15. Jahrhundert liegt dann das Corpus in verschiedenen Redaktionen vor, u.a. im "Großen" und im "Kleinen Tauler".

Die katechetische Volksunterweisung macht auch bei den Armenbibeln nicht Halt. Die Biblia pauperum, ein um die Mitte des 13. Jahrhunderts anonym verfasstes Werk lateinischer Sprache, gehört zu dem im Spätmittelalter weit verbreiteten Zeugnis dieser Gattung. Typologische Gesichtspunkte des Alten und Neuen Testaments werden hier einander gegenübergestellt (Typus und Antitypus). Eine andere Form der geistlichen Popularisierung kommt in dem nicht mehr vollständig überlieferten Augsburger Passionsspiel aus St. Ulrich und Afra gegen Ende des 15. Jahrhunderts zum Ausdruck. Neben dem Spiel des schwäbischen Meistersängers Sebastian Wild (gest. nach 1538) bildet es die Grundlage des späteren berühmten Oberammergauer Passionsspiels.