Das blaue Bamberger Rationale. Aus alt mach neu: Veränderungen der Neuzeit

Das Bamberger Rationale wurde im Frühjahr 1955 in der Textilrestaurierungswerkstatt des Bayerischen Nationalmuseums unter Leitung von Sigrid Müller-Christensen (1904-1994, GND: 118585290) in vergleichsweise kurzer Zeit restauriert.

Eine Bleistiftzeichnung aus dem Jahr 1851 zeigt den Vorzustand. Die Glockenkasel war zu diesem Zeitpunkt in der vorderen Mitte deutlich breiter, die Goldstickerei in der Mitte auseinandergeschnitten. Links der vorderen Mitte im Bereich zwischen senkrechter Borte und Stickereifeld ist neben und unterhalb der Stickerei ein Gewebe zu erkennen, das sich durch sein kleinteiligeres Muster vom übrigen Kaselstoff unterscheidet.

Beide Maßnahmen gehen auf eine Reparatur vermutlich des 17. oder 18. Jahrhunderts zurück, bei der das Rationale geweitet worden war, damit es nach wie vor genutzt werden konnte.

Die Restaurierung 1955 machte beide Maßnahmen rückgängig. Die dadurch entstandenen Fehlstellen wurden mit blauem Baumwollsatin unterlegt.

Die Bleistiftzeichnung von 1851 zeigt jedoch in der Wiedergabe der Stickerei ein paar Ungenauigkeiten oder Fehlinterpretationen. So fehlt die Figur Christi, die auf dem Prachtbett König Salomos thront. Petrus und Paulus stützen nicht die den Giebel tragenden Säulen, denn die Säulen wurden als größere Figuren verstanden, die sich den Aposteln zuwenden. Und in den seitlichen Streifen sind nicht jeweils drei Apostelbüsten zu sehen, sondern die unterste Büste wurde zusammen mit der unten angesetzten floralen Stickerei als Ganzfigur wahrgenommen. All dies belegt, wie selten und ungewöhnlich das Bildprogramm des Bamberger Rationale ist.

Tanja Kohwagner-Nikolai