Das blaue Bamberger Rationale. Zwischen Reliquienkult und Reparatur: das Spätmittelalter

Das blaue Bamberger Rationale wird zwar im Mittelalter nicht zu den Kaiserreliquien gezählt, aber trotzdem wird ihm große Bedeutung beigemessen. Dies belegt eine Zeichnung auf Pergament, die um 1415-1420 in Bamberg entstanden ist und die Rückenansicht, also die Hauptschauseite des Bamberger Rationale zeigt.

Die Zeichnung von außergewöhnlicher Feinheit und Qualität basiert auf dem Original, nimmt aber Veränderungen im Detail vor. So werden die strikte Trennung in zwei Zonen aufgehoben, die Inschriften teilweise modifiziert und vor allem unterhalb der seitlichen Apostelstreifen die Bistumsgründer Heinrich (973-1024, reg. 1014-1024) und Kunigunde (gest. 1033) in Ganzfigur wiedergeben.

Diese Unterschiede zeigen, dass das blaue Rationale zur Entstehungszeit der Zeichnung bereits Beschädigungen und Textverluste hatte. So wurde die unterste Büste der beiden seitlichen Apostelstreifen jeweils durch eine Büste aus anderem Zusammenhang ersetzt, darunter eine florale Stickerei angesetzt.

Vermutlich fand sich dort ursprünglich ein Hinweis auf die beiden Bistumsgründer. Da sie als Heilige hochverehrt wurden, dürfte diese Stelle des Rationale häufig berührt und dadurch geschädigt worden sein, was die ergänzende Reparatur notwendig machte.

Gerade ein solcher Bezug zu Heinrich und Kunigunde visualisierte die Bedeutung des Bistums als Gründung des einzigen heiliggesprochenen Kaiserpaars und erklärt so die jahrhundertelange Nutzung an sechszehn Festtagen des Kirchenjahres mindestens bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, obwohl seine Form als Glockenkasel längst unmodern geworden war.

Durch die Nutzung wurden zahlreiche Reparaturen notwendig. Und wieder gibt die Zeichnung eine Erklärung für Materialien, die am erhaltenen Textil nicht nachzuweisen sind. Die Zeichnung zeigt tropfenförmige Glöckchen am unteren Rand.

Bei der spätmittelalterlichen Übertragung der Stickereien 1454-1456 auf einen blauen Seidendamast mit Granatapfelmuster wurden 66 vergoldete Silberglöckchen für das Rationale gekauft, die heute verloren sind.

Tanja Kohwagner-Nikolai