Der bayerische König im Ringen gegen bürokratische Kräfte

Die früher häufig vertretene Ansicht Ludwig II. sei ein Monarch gewesen, der kein Interesse an Politik gehabt habe oder sich spätestens nach den Reichseinigungskriegen aus der Politik zurückgezogen hat, wird mittlerweile in Zweifel gezogen. Er arbeitete bis zu seiner Entmündigung 1886 alle an ihn gestellten Anträge und Entscheidungen zuverlässig ab. Zwar hatte er keine breiten Kenntnisse in allen politischen Angelegenheiten, aber in bestimmten Bereichen, die ihn besonders interessierten, konnte er sogar seine Minister mit Details beeindrucken. Zu Beginn seiner Herrschaft versuchte er den Regierungsgeschäften in vollem Umfang nachzukommen. Er empfing seine Minister und erfüllte auch Repräsentationspflichten. Doch vermochte der junge König seine Entscheidungen nicht immer mit der nötigen Hartnäckigkeit gegenüber der Verwaltung und Regierung durchzusetzen, was ihn mit der Zeit mehr und mehr frustrierte. Den Ministern eröffnete es Wege, ihre Ansichten und Pläne auch gegen den König umzusetzen. Einwände oder eigene Ideen Ludwigs konnten sie zur Not auch aussitzen. Im Endeffekt maßten sich die Minister dadurch Kompetenzen an, die laut Verfassung eigentlich allein beim König lagen.

Ein Beispiel für die Durchsetzung der Bürokratie über den Willen des Monarchen ist der Fall des Abrisses des Herstalltores in Aschaffenburg. Das alte Stadttor stand dem Ausbau des dortigen Bahnhofes im Weg und sollte deshalb abgerissen werden. Der Antrag der Stadt wurde vom Innen- und vom Kriegsministerium befürwortet. Der sehr an Schutz von Denkmälern interessiere Monarch stimmte aber nicht zu. Da die Aschaffenburger Bürger dennoch den Abriss zu erreichen suchten, gab das Innenministerium bei verschiedenen Stellen Gutachten in Auftrag. Daraus wurden ein erneuter Antrag an den König formuliert, in dem auch vom großen Sympathiegewinn bei der Bevölkerung gesprochen wurde und nur wenig verschleiert eine Mobilisierung der öffentlichen Meinung gegen den König ins Spiel gebracht wurde. Ludwig gab dem Antrag nun doch statt. Seine Minister hatten den Monarchen also zu einer anderen Entscheidung genötigt. Infolge dieses Vorfalls änderte das Innenministerium den Geschäftsgang für derartige Abrissgenehmigungen, für die dann nur noch das Kriegsministerium zuständig war. Seit diesem Vorfall gab der König bei ähnlichen Anträgen seine Zustimmung, ohne sich noch einmal eingehender damit zu befassen.

Stefan Schnupp